GegenOrt / Reden

Beim Kunstprojekt in den Wassergärten Reden bewegen sich nicht nur zwei Energien aus zwei Himmelsrichtungen aufeinander zu, sondern mindestens vier.
von Ingeborg Besch

Raumskulptur GegenOrt im Wassergarten von Landsweiler/Reden

Der in Dortmund ausgebildete Fotograf André Mailänder arbeitet auch im Angesicht des kraftvollen Ortes in konzentrierter Strenge und Reduktion. Er findet eine ausgeprägte Situation vor, die ihrerseits bereits ein Kunstwerk geworden ist. Über Details der Umgebung tastet er sich an das neue Stück Welt heran bis endlich das als solches auch bezeichnete Kunstwerk, die Skulptur von Martin Steinert, im Fokus seiner Aufmerksamkeit steht. Der Ort setzt orthogonale Strenge in den freigelegten Stahlskelettbauten mit starken Akzenten. Die Skulptur besteht aus sich verdichtenden Dachlatten, die sich zu unregelmäßigen Netzstrukturen auswachsen. Zum Überfluss treten die Spiegelungen auf der glatten Wasseroberfläche hinzu.

Niemand hat eine Vorgabe, außer dem Ort selbst und der werdenden Skulptur. Michael Siffrin scheint zunächst von der Umgebung kaum Notiz zu nehmen. Im malerisch sinnlichen Duktus entstehen „Dachlatten“ auf der Leinwand, die in Farbe und Form das Material der Skulptur assoziieren als hätte er einen Quadratmeter der Arbeit vor Augen. Doch bei jeder Konfrontation mit der Umgebung setzt sich der genius loci mehr durch. Alles Geplante wird über Bord geworfen, hält nicht mehr Stand. Ein Künstler, dem die konkrete Bildsprache völlig fremd ist, erschafft sich selbst genügende Kompositionen und zwar mit Karton und den unterschiedlichsten Materialien: Rhythmische Abfolgen, sich überlagernde Schrägen – ohne Symbol, ohne Dingcharakter, fast ohne Metaebene. Allerdings wird an diesem Ort geschraubt und geschweißt, so dass der Maler wenigstens zum Cutter greift, um im Scherenschnitt feine Reliefs zu bauen. „Martin Steinert schraubte Latte für Latte zusammen, Hinzufügen heißt das Prinzip, so wollte ich ausschneiden, Wegnehmen.“ Entstehen Malerei und Skulptur im Miteinander, im Dialog oder funkt die Umgebung dazwischen oder setzt sie neue Kräfte frei und wird zur Vermittlerin? In einer zweiten Werkgruppe zeigt sich, dass Michael Siffrin seine ihm eigene Sprache integriert. Wenn sich von Osten und von Westen zwei babylonische Türme aufeinander zubewegen, geradeso wie die Schachtbohrungen erfolgen, und sich in der Mitte treffen oder verpassen Erfolg oder Misserfolg bedeutet, dann werden mit knappen Mitteln bedeutende existenzielle Fragen aufgeworfen. Vorausgesetzt freilich, dass die Geschichte vom Turmbau zu Babel bekannt ist.
Die dritte Werkgruppe ist auf Leinwand entstanden. Sie vereint den an diesem Ort alles dominierenden strukturalen Aufbau mit Siffrins poetischen Bildschöpfungen. In nuancenfeinen Schichtungen lässt er seine sinnlichen Bildwelten entstehen.

Plakat zum Kunstprojekt

Jonas im Bauch

Die Arbeiten auf und mit Karton sollen im Bauch der Skulptur gezeigt werden, also flache Bildobjekte im Innern des kokonartig gewölbten Gebildes. Vom Walfisch verschlungen ist guter Rat teuer.
Unruhige, laute Lattenstrukturen dominieren, unterschiedliche Raumteile wechseln sich ab, technische Lösungen bleiben mäßig überzeugend. Dieses Unterfangen darf gerne als ein Experiment bezeichnet werden. Am Ende heißt es hier, sich nach der Dachlatte strecken. Statt der reifen Konzeption überzeugt der spielerische Charakter des Experimentes, das malgré tout der bizarren Situation. Schließlich gilt die Inszenierung für einen Tag und siehe da, die Betrachter und Betrachterinnen genießen das ungewöhnliche Erlebnis.

Während der Fotograf in der ihm eigenen Prägnanz aus Dokumentarischem seine Bildschöpfungen generiert und der Maler sich dem Strudel starker Einflüsse ausliefert, sägt und schraubt sich der Erbauer der Skulptur in stoischem Gleichmut voran. Geradeso wie der gelernte Steinbildhauer seine Kunstsprache im konsequenten Arbeiten Schritt für Schritt über Jahre entwickelte. Der Stein wich dem Holz, weil es dem gestalterischen Bedürfnis nach organischen Rundungen entgegenkam. Dann wich das analoge Arbeiten dem digitalen, indem Steinert seine Körper aus Holzlatten zusammensetzte: fein verschliffen, edel glänzende Oberfläche, farbig gefasst. Im nächsten Schritt löst sich die Latte aus dem Verbund. Steinert lässt das spröde Material spröde bleiben, setzt nun Latte für Latte additiv zueinander. So formt das unbedeutende Einzelstück in der Summer der Teile einen neuen, bedeutenden Körper. Die Skulptur wird größer als geplant. Inmitten der beiden Stahlskelettriesen heißt es unbeirrt bleiben. Würde sie am Ende standhalten? Als das …. Meter lange Gebilde vom Land ins Wasser wanderte, stellte sich die Frage auch im physischen Sinne. Sie hielt stand – auf beiden Ebenen. Ohne Orthogonalen, ohne Stahl, ohne festen Boden behauptet sich „David“ zwischen den Kolossen. In heller Anmut des Materials, im feinen Spiel zwischen Leichtigkeit und Fragilität der Konstruktion entfaltet sich die Arbeit organisch auf der spiegelnden Oberfläche des Wassers. Darf der Begriff der Schönheit hier fallen? Die Erhabenheit übernehmen die Stahlkolosse. Erdrücken sie das fein Gesponnene oder flankiert die Macht das zu schützende, konkonartige, vergängliche Gebilde? Der heftige Kontrast ist geradezu anrührend. Jetzt, da sich das Gebilde einsam auf dem Wasser behauptet, begegnen sie sich: Michael Siffrins melancholische Bildwelten, die von Verwundbarkeit und beharrlichem weiter Wachsen erzählen und Martin Steinerts Gespinst aus Dachlatten. GegenOrt.
Und wenn einer fähig ist diese neue Dimension in der dokumentarisch anmutenden Fotografie umzusetzen, dann entstehen GegenOrte.

Foto von André Mailänder, GegenOrt

André Mailänder weiß zugleich im Dienste der Kollegen zu agieren, als auch seine eigene Spur zu verfolgen. Im Umgang mit Licht und Grauwerten, in der kargen Komposition mit der ersten Dachlatte spielen weder die Stimmung des Ortes noch der Kollegen eine Rolle. Der Blick vom Innern der Skulptur in den Himmel lässt Licht zum Thema werden. Grafische Kontraste treffen auf wieder erkennbares Material, aus Spiegelungen im Wasser, dem Phänomen des Grenzenlosen, entstehen streng orthogonale Fassungen. Die wohl gebaute Bildwelt will nur die Zeit der Betrachtung, um sich auszudehnen.
Bereits vor zehn Jahren hat sich André Mailänder das verlassene Brachland in Reden fotografisch angeeignet im Auftrag der damaligen IKS. Die Bilder werden den Ort festhalten, Zeit und Menschen sind derweil damit beschäftigt ihn zu verändern. Unter der Überschrift „Erlebnisort Reden“ wandelt das einstige Bergbauareal sein Antlitz. Die neue Urbanisierung hat begonnen und mit ihr hält nun das freie Spiel der kreativen Mächte Einzug. So kann der im Geist der „New topographic Bewegung“ geschulte Fotograf den Lebenslauf eines „Ortes“ begleiten: GegenOrt.